Perspective Mihai Toader-Pasti
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Demokratie: Faule Freunde, arrogante Feinde und der Aufstieg der Super-Bürger

Wir wissen, dass Demokratie komplizierter und kostspieliger ist als jede andere Regierungsform – und dennoch ist sie bislang die beste, die wir haben. Die Welt ist komplex, es gibt keine einfachen Lösungen, sie verändert sich rasant und bleibt unvorhersehbar. Unsere heutige Gesellschaft ist das Gegenteil von dem, was unser Gehirn sich wünscht: Einfachheit und Vorhersagbarkeit. Tag für Tag versuchen wir, Erwartungen und Realität in Einklang zu bringen.

Inzwischen scheint es, als würde von allen Seiten auf die Demokratie geschossen – von Terroristen bis zu autoritären Regimen, von Oligarchen im Osten bis zu Tech-Milliardären im Westen – in Entwicklungs- wie in Industrieländern. Die Demokratie ist zum leichten Ziel geworden, und kaum jemand scheint noch mit ihr zufrieden. Die Vielen wenden sich den Wenigen zu, denn «demos kratos» hat sein Versprechen gebrochen. Wie ironisch.

Zum Glück sind die Feinde noch zu arrogant
Russlands Präsident Wladimir Putin verfolgt das Ziel, das einstige russische Imperium wiederherzustellen – durch den Angriff auf die Ukraine, den Widerstand gegen die NATO-Erweiterung, das Säen von Zwietracht innerhalb der EU und die Einmischung in Wahlen, etwa in Rumänien. Doch ironischerweise hat er damit genau das Gegenteil erreicht: Schweden und Finnland sind der NATO beigetreten, Rumänien und Bulgarien dem Schengen-Raum.

Auch der amtierende US-Präsident Donald Trump hat – in der unerwarteten «zweiten Staffel» seiner Präsidentschaft unter dem Motto «Make the US Great Again» – unfreiwillig etwas Bemerkenswertes ausgelöst: Er hat die Europäische Union wachgerüttelt.

Zugegeben, ich greife hier gezielt positive Folgen heraus und blende viele schwerwiegende, vermeidbare Nebenwirkungen aus. Doch dieser Dominoeffekt kam nicht von ungefähr – wir selbst haben ihn ausgelöst: durch die Entscheidungen, die wir getroffen haben – und mehr noch durch jene, zu denen uns der Mut fehlte.

Wir waren bequem – und zahlen nun den Preis
Wir befinden uns heute an diesem Punkt, weil die Freunde der Demokratie sie allzu lange für selbstverständlich hielten – und sich stattdessen auf Wahlkampfspektakel und Beliebtheitswerte konzentrierten. Populismus ist zur bequemen Ausrede geworden, doch in Wahrheit haben demokratische Führungskräfte selbst den Boden dafür bereitet: durch fehlende echte Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger.

Diese Bequemlichkeit hat viele Gesichter – besonders gefährlich aber ist die Vorstellung, Extremismus sei vor allem ein Problem der Armen und Ungebildeten. Eine Korrelation mag bestehen, doch eine Kausalität? Wohl kaum.

Gerade in Osteuropa liegt das grösste Versäumnis im Umgang mit der EU und der Demokratie darin, dass Politiker es versäumt haben, die Anforderungen der EU wirklich zu verstehen – geschweige denn verständlich zu erklären. Stattdessen wurde allzu oft einfach gesagt: «Weil es die EU so will.»

Was wir brauchen, ist mehr Investition in Bildung und echte Zusammenarbeit – und weniger Rückgriff auf Zwang und Pflichtgehorsam.

Die Demokratie hat ihren Glanz verloren – aber ist sie tot?
Ich hoffe sehr, dass die Antwort nein lautet – die Demokratie ist nicht am Ende. Aber sie braucht dringend ein Rebranding. Denn Menschen leben von Geschichten. Wenn wir keine inspirierenden Erzählungen über Demokratie bekommen, erfinden wir unsere eigenen – oft mit mehr Fantasie als Fakten, mal näher, mal weiter entfernt von der Realität.

Ohne eine starke demokratische Erzählung überlassen wir es anderen, das Bild der Demokratie zu prägen. Unternehmerinnen und Unternehmer fühlen sich von der Politik ausgenutzt, Beschäftigte von ihren Arbeitgebenden im Stich gelassen. Die Wissenschaft wird teurer, aber gleichzeitig als weniger relevant empfunden. Zivilgesellschaftliche Organisationen sind chronisch unterbesetzt, unterfinanziert und zunehmend frustriert. Der öffentliche Dienst arbeitet am Limit – und wird dafür kaum geschätzt.

Die Demokratie ächzt unter ihrer eigenen Komplexität. Und mit ihr schwindet das Vertrauen – in Institutionen ebenso wie in unsere Mitmenschen. Demokratie ist schwierig. Sie ist nicht naturgegeben. Wir kommen nicht mit einem Demokratieverständnis auf die Welt – und wir tun zu wenig dafür, es weiterzugeben oder zu fördern.

Aufstieg der Super-Bürger
Ich bin überzeugt: Die Demokratie kann nicht nur überleben, sondern aufblühen – wenn wir bereit sind, grundlegende Dinge anders zu machen. Die Idee, Bürgerinnen und Bürger ins Zentrum des politischen Geschehens zu stellen, ist nicht neu – im Gegenteil. Doch in der Praxis funktioniert sie nach wie vor nicht.

Warum? Weil selbst diejenigen, die sich aktiv einbringen möchten, oft keine realen Möglichkeiten dazu finden. Zeit und Energie sind heute knappe Ressourcen – und unser demokratisches System wirkt vielerorts zu träge und zu kompliziert. Dabei hätten wir längst die Werkzeuge, um Demokratie effizienter, inklusiver und zugänglicher zu gestalten. Wir haben sie nur noch nicht in der Breite eingesetzt.

Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, das jede und jeder von uns besonders gut beherrschen sollte, dann wäre es Engagement auf fünf Ebenen:
   • Individuelle Ebene – Beitrag (zivilgesellschaftliches Engagement)
   • Nachbarschaftsebene – Zusammenhalt (Vertrauen)
   • Stadtebene – Verwaltung (konkrete Projekte)
   • Staatliche Ebene – Synchronisation (klare und gerechte Gesetze)
   • Regionale Allianzen – Sicherheit (vernetzte Zusammenarbeit)

Das Zeitfenster schliesst sich
Uns bleiben höchstens vier bis acht Jahre, um die Demokratie grundlegend zu erneuern. Gelingt uns das nicht, wird unsere Welt in wenigen Jahren kaum wiederzuerkennen sein. Extremismus, Klimawandel, soziale Ungleichheit, Künstliche Intelligenz, steigende Lebenshaltungskosten – all das steuert auf die Katastrophe zu. Und wir sind nicht vorbereitet.

Wenn wir jetzt nicht handeln, riskieren wir eine düstere Zukunft. Deshalb müssen wir die Demokratie neu erlebbar machen – nicht simplifizieren, sondern verdichten. Und wir müssen die Super-Bürger stärken: Menschen, die Verantwortung übernehmen, Gemeinschaft gestalten und Wandel möglich machen. Sie sind es, die die Geschichte der Demokratie neu schreiben können – von unten nach oben – und die Macht dorthin zurückbringen, wo sie hingehört: zum Volk.

Genau deshalb engagieren meine Kolleginnen und Kollegen bei DearNeighbour und ich uns mit voller Überzeugung für stärkere soziale Verbindungen zwischen Menschen. Indem wir gesunde, geeinte und zukunftsfähige Gemeinschaften aufbauen, wirken wir wie ein Betriebssystem für gesellschaftlichen Wandel. Wir bringen Menschen zusammen, um Ideen, Ressourcen und Hoffnung zu teilen. Von unten nach oben.

Verändere die Welt, indem du dich selbst und dein Quartier veränderst. «Demos kratos»: Gib den Bürgerinnen und Bürgern die Kraft, wirklich mitzugestalten – aktiv dabei zu sein.

About the Autor

Mihai Toader-Pasti

Mihai Toader-Pasti ist ein ausgewiesener Nachhaltigkeitsexperte mit über 13 Jahren Erfahrung in der Begleitung von ESG-Transformationen – für Einzelpersonen, Organisationen und Städte. Er ist Gründer von ÎntreVecini (DearNeighbour), einer gemeinnützigen Initiative, die in Rumänien nachhaltige und lebendige Nachbarschaften aufbaut. Zuvor hat er EFdeN mitbegründet und geleitet – die meistprämierte Nachhaltigkeitsorganisation Rumäniens. Für sein Engagement wurde Mihai mehrfach ausgezeichnet, unter anderem als Obama Leader, Eisenhower Youth Leader und Forbes Europe 30 Under 30.

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Democracy: Lazy Friends, Arrogant Foes and the Rise of Super Citizens

We know that democracy is more complicated and expensive than any other form of government, but it’s the best we have so far. The world is complex, with no easy fixes, rapidly changing with no predictability. Today’s society is the opposite of what the brain wants: simple and predictable. So, every day, we are in a race to reconcile expectations and reality.

These days, it looks like everyone is shooting at democracy – from terrorists to authoritarian regimes, from Eastern oligarchs to Western tech billionaires – developing and developed countries alike. As democracy became a sitting duck, nobody seems particularly happy with it anymore. So, the many turned to the few because «demos kratos» broke the promise. Oh, the irony.

We are lucky its enemies are still too arrogant
Russia’s president, Vladimir Putin, while aiming to recreate the Great Russian Empire by invading Ukraine, fighting NATO’s expansion, creating ruptures throughout the European Union and interfering with elections in Romania, has ironically succeeded in getting Sweden and Finland into NATO and Romania & Bulgaria into Schengen. The newly elected US president Donald Trump, in this surprising second season of the TV show «Making the US Great Again», achieved something remarkable: awakening the European Union. Sure, I am cherry-picking the best outcomes while ignoring many other negative consequences that should never have happened in the first place. But we let this domino fall by the decisions we made – and mostly by the ones we did not have the courage to make at the right time.

We were lazy, so we have to pay the price
We are here because democracy’s friends took it for granted and got lazy, focusing on winning Ms/Mr Popularity for elections. We blame populism, but democratic leaders created the most fertile ground for it by not engaging citizens meaningfully. And laziness manifested in so many other ways, but I think the most dangerous one is framing extremism as the weapon of the least wealthy and educated. Correlation, sure. Causality? I don’t think so. The worst thing that happened in Eastern European countries in regard to the EU and democracy was politicians’ laziness in understanding and explaining various requirements from the EU, simply communicating: «because the EU asked us to comply». We should put more effort into education and efficient collaboration, and use less coercion.

Democracy lost its spark. But is it dead?
While I cannot answer this question, I sure hope not. Democracy desperately needs a rebranding. People need stories, because when we don’t get inspiring stories to share, we create our own – for better and for worse – more or less in tune with reality. By not having a strong story about democracy, we left room for others to shape its narrative in society. Businesspeople felt taken advantage of by politicians, employees by employers. Academia became more expensive and less relevant. Non-profits became understaffed, underfunded and extremely frustrated, while the public sector feels overworked and underappreciated. Democracy was cracking under its own weight, taking with it people’s trust in institutions – and in one another. Democracy is hard and unnatural. We are not born understanding the concept, and we don’t actively promote it to help citizens appreciate it.

The Rise of the Super Citizens

I think democracy can not only survive but thrive – if we do a few things differently. Making citizens a central part of the process is not a new concept – far from it – but it still does not work. Why? Because in reality, even if you want to make a more meaningful contribution, you can’t. People don’t have the time or energy for this highly inefficient process nowadays. But we do have tools to make democracy work better – we just haven’t deployed them at scale yet. If I had to pick one thing for everyone to be great at, in terms of responsibilities, it would look like this:
  • Individual level – contribution (civism)
   • Neighbourhood level – cohesion (trust)
   • City level – administration (projects)
   • Country level – synchronisation (laws)
   • Regional alliances (security)

The window of opportunity is closing rapidly
We have four to eight years max to dramatically improve democracy. Otherwise, the world will look very different from today. Extremism. Climate change. Inequality. AI. Cost of living. We are inevitably heading into the perfect storm – and we are not ready. Failing to get ready will be dystopian, so we have to make democracy more relatable – synthesising, not simplifying – and help create the Super Citizens, as I like to call these agents of change. They can reignite the story of democracy from the bottom up, bringing power back to where it belongs – the people.

This is why my colleagues at DearNeighbour and I are so committed to strengthening the bonds between citizens. By creating united, healthy and prosperous communities, we act as an operating system for change – bringing together every existing stakeholder to share ideas, resources and hope from the ground up. Change the world by changing yourself and your neighbourhood. Demos kratos – empower citizens to be who we really want them to be: part of the game.

About the Autor

Mihai Toader-Pasti

Mihai Toader-Pasti is a sustainability expert with over 13 years of experience in accelerating ESG transformation for individuals, organizations, and cities. He is the founder of ÎntreVecini (DearNeighbour), a non-profit organization creating sustainable urban communities in Romania. Mihai has co-founded and led EFdeN, Romania's most awarded sustainability non-profit, and has been recognized as an Obama Leader, Eisenhower Youth Leader, and Forbes Europe 30 Under 30 honoree.

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